Bedarf an Arbeitsplätzen für psychisch kranke Menschen steigt

Bedarf an Arbeitsplätzen für psychisch kranke Menschen steigt

Die Zahl der Menschen mit psychischen Behinderungen ist seit Jahren zunehmend. Arbeit kann Halt geben. Daher steigt die Nachfrage nach betreuten Arbeitsplätzen.

Regensburg – Konzentriert hält Michael Meyer das Eisen in der Hand, während die Maschine Millimeter für Millimeter der Einkerbung fräst. Wenn er bohren, drehen und schrauben kann, ist der 63-Jährige gelernte Maschinenschlosser in seinem Element. Sein Spezialgebiet an seinem Arbeitsplatz im Inklusionsbetrieb Werkhof  in Regensburg: Kirchenglockenaufhängungen. Mehr als 500 dieser Halterungen hat Meyer bereits gefertigt. „In vielen Kirchen hängen die Glocken an einer Aufhängung, die ich gefertigt habe“, sagt er stolz.

Seit 2005 besetzt Meyer einen so genannten Zuverdienstplatz. „Bei uns im Haus ist er ein Urgestein“, sagt Angelika Krüger, Leiterin des Werkhofs. Meyer gehört in diesem Bereich zu einem Beschäftigten der ersten Stunde. Nachdem der Werkhof seine Anerkennung als Integrationsfirma erhalten hatte, startete man mit vier Plätzen, die allen Menschen, die ganz oder teilweise erwerbsunfähig sind und von einer psychisch anerkannten Behinderung wie zum Beispiel Depression, Manische-Depression, Schizophrenie oder einer Suchterkrankung betroffen sind.  „Jahr für Jahr wurde die Anzahl der Plätze ausgeweitet, weil der Bedarf da war“, erklärt Krüger. Aktuell gibt es in Regensburg 16 Plätze. In der zugehörigen Niederlassung in Schwandorf arbeiten weitere fünf Menschen auf einem Zuverdienstplatz.

In Regensburg sind die Mitarbeitenden im Zuverdienst in allen Bereichen eingesetzt, die der Werkhof regulär mit seinen fest angestellten Mitarbeitern anbietet. Das Spektrum reicht von Handwerk, Dienstleistung über Verkauf bis hin zur Verwaltung. „Insgesamt können wir 14 verschiedene Arbeitsbereiche anbieten“, erklärt Krüger. Das ist auch nötig, denn Menschen mit psychischen Erkrankungen gibt es in allen Berufsfeldern. Wie lange ein Betroffener so einen Zuverdienstplatz besetzen kann, liegt in der Hand des Bezirks, der die Plätze finanziert. Theoretisch ist es möglich, dass jemand dauerhaft und unbefristet einen solchen Platz besetzt.

Michael Meyer ist so ein Fall. Nach seiner Ausbildung konnte er zwar noch einige Jahre an verschiedenen Arbeitsstellen tätig sein, aber es lief insgesamt beruflich holprig. Das Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmt, war lange sein Begleiter. 1988 im Alter von 31 Jahren folgte die Diagnose: Depression. Er begann eine Therapie und startete als Teilzeit-Mitarbeiter im Werkhof. Bis 2000 ging das gut, aber dann nahm die Depression wieder überhand. Fünf Jahre lang bestand sein Leben vorwiegend aus Therapien. Als er sich wieder stabilisiert hatte, aber nicht mehr für den regulären Arbeitsmarkt zur Verfügung stand, ermöglichte ihm das Zuverdienstprojekt einen Platz im alten Tätigkeitsbereich. „Die Arbeit ist mein Halt im Leben“, erklärt er. „Mir sind die Kontakte zu meinen Kollegen sehr wichtig.“

Bei manchen Beschäftigten läuft es anders herum und sie  wechseln vom Zuverdienst in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. „Das ist der Vorteil eines Inklusionsbetriebs“, erklärt Krüger. Drei Menschen, die einen Zuverdienstplatz hatten, haben heute wieder ein reguläres Arbeitsverhältnis im Haus. Ein mögliches Ziel wurde damit erreicht. „Dauerhafte Erwerbsunfähigkeit wurde vermieden und die Menschen konnten wieder in ein geregeltes Arbeitsleben zurückgebracht werden“, erklärt Krüger. Aber es sei auch viel wert, wenn es gelinge, psychisch erkrankten  Menschen durch die Arbeit bei der Struktur des Tages zu helfen und wenn sie damit ein Stück weit gesellschaftliche Teilhabe erfahren.

Auf einen Zuverdienstplatz entfallen maximal 14 Stunden pro Woche. „Mit 15 Stunden wäre die Tätigkeit sozialversicherungspflichtig“, erklärt Krüger. Während der Beschäftigung werden die Mitarbeitenden sozialpädagogisch betreut. Die Mitarbeiter des Werkhofs helfen bei der Bewältigung von Problemen. „Wenn es mir mal nicht so gut geht, dann habe ich einen Ansprechpartner“, sagt Meyer.

Einen Arbeitslohn gibt es für einen Zuverdienst nicht. Zwischen drei und sechs Euro pro Stunde erhalten die Mitarbeitenden im Werkhof Regensburg und Schwandorf  plus ihre Fahrtkosten zur Arbeitsstelle. „Es ist eine Aufwandsentschädigung“, räumt Krüger ein und erklärt:  „Im Mittelpunkt steht nicht, dass eine Arbeitsleistung erbracht wird, sondern dass der Mensch Tagesstruktur und Unterstützung bei der Bewältigung seiner gesundheitlichen Situation erfährt.“

Unter der ausgeschiedenen bayerischen Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) sei der Gedanke der Inklusion auch auf den Bereich Zuverdienst ausgeweitet worden. Man habe sich verstärkt  bemüht, Plätze nach außen, unabhängig von einem Inklusionsbetrieb,  zu verlegen.  Zwei Werkhof-Zuverdienstler sind seit mehreren Monaten in der Verwaltung des oberpfälzischen Inklusionsamtes in Regensburg beschäftigt. „Sie sind dort voll integriert“, freut sich Krüger. „Sie haben sogar Namensschilder an ihrer Bürotür.“ Unter der aktuellen CSU-Sozialministerin in Bayern, Carolin Trautner, soll das Projekt zum Bedauern aller aber eventuell wieder eingestellt werden. Noch bis November können die beiden Männer im Inklusionsamt tätig sein. Danach sollen sie einen Platz intern im Werkhof finden. „Das wäre ein Rückschritt in Sachen Inklusion“, findet Krüger.

Michael Meyer hat indessen Angst, dass er demnächst in Rente gehen muss. Theoretisch endet sein Förderanspruch durch den Bezirk im Oktober 2021. „Die Arbeit ist mir sehr wichtig“, sagt er. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es demnächst vorbei sein soll“ und er fragt sich: „Was soll ich dann den ganzen Tag lang tun?“  Ob es die Möglichkeit für ihn geben wird, weiter im Werkhof tätig zu sein, ist aktuell noch unklar.

Martina Groh-Schad

 

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