Wandlerin zwischen zwei Welten

Wandlerin zwischen zwei Welten

Christine Handrack aus Landshut hat ein großes Ziel: Sie möchte durch ihren Einsatz Frauen im Senegal eine berufliche Perspektive eröffnen.

 Von Martina Groh-Schad =  

 Landshut / Senegal – Meer, Strand, bunte Märkte und strahlende Kinderaugen: Wenn Christine Handrack von ihrem aktuellen Aufenthalt im Senegal in den sozialen Medien Fotos teilt, dann sind das stets fröhliche und bunte Aufnahmen. „Bei mir werdet ihr keine Fotos von traurigen Straßenkindern mit großen bettelnden Augen sehen“, erklärt die 32-Jährige. „Das würde einen falschen Eindruck von diesem Land vermitteln.“

Trotz anhaltend stabiler politischer Verhältnisse zählt Senegal zu den ärmsten Ländern dieser Welt. Laut Auswärtigem Amt dominieren die Wirtschaft des 15 Millionen Einwohner Staates die Landwirtschaft, die Bauwirtschaft, die Fischerei und Dienstleistungen. Fast 80 Prozent der Beschäftigten sind in der Landwirtschaft tätig. 35 Prozent gelten als arm, was nicht vergleichbar ist mit dem Armutsbegriff, den wir in Deutschland verwenden. Hier geht es um das tägliche Brot und ums Überleben.

Christine Handrack hat bei den Menschen in Senegal eine Lebensfreude entdeckt, die ihr in Deutschland oft fehlt.  „Ich glaube, es liegt an der Sonne, am Meer und an den bunten Farben, in denen sich die Menschen kleiden“, sagt sie. „Da muss man ganz automatisch gute Laune bekommen.“ Sie selbst sei sofort angesteckt worden. „Ich fühle mich hier oft ohne Grund heiter und beschwingt“, erklärt sie. „Das gibt mir Kraft für meine Ideen, um vor Ort die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern.“

Bis 2019 verlief das Leben von Christine Handrack „in geordneten Bahnen“, wie unsere Gesellschaft es nennen würde. Nach der Schule und dem Studium folgten mehrere Jahre Berufspraxis im pädagogischen Bereich als Beraterin in der Erwachsenenbildung. Doch immer wieder holte Christine innere Unruhe ein. „Ich spürte, dass da draußen in der Welt mehr auf mich wartet“, erinnert sie sich. Mehr, als ihr ihr beschauliches Leben in der niederbayerischen Heimat Landshut bisher bieten konnte. Durch die sozialen Medien erfuhr Christine vieles über afrikanische Länder und fühlte sich besonders von Senegal angesprochen. „Da war plötzlich Sehnsucht da“, beschreibt sie.

Ihre Eltern waren erst geschockt, als sie ihnen eröffnete, dass sie ihren Job kündigen und ihre Wohnung untervermieten wollte, um Zeit in Afrika zu verbringen. „Aber sie kennen mich und wissen, dass ich gerne unterwegs bin“, sagt Christine. „Auch meine Freunde haben mich unterstützt und fanden es mutig von mir.“

In einer Facebook-Gruppe lernte Christine eine Familie aus dem Senegal kennen, die Gäste aus anderen Ländern aufnehmen wollte, um ihnen so einen Einblick in den Alltag afrikanischer Familien zu bieten. „Mir war es sehr wichtig, das richtige Afrika fernab der touristischen Ziele kennenzulernen.“

Bepackt mit Koffern, Taschen und klopfendem Herzen ging es Anfang 2020 ab in den Senegal. Das Abenteuer begann. „Ich war sehr aufgeregt, als mich mein Gastvater am Flughafen abholte“, erinnert sie sich. Die Familie lebte in M´bour / Saly. Die Eindrücke vor Ort überschlugen sich und waren überwältigend für die junge Frau.

Christine hatte gegen eine kleine Mietzahlung ein Zimmer bei der Familie gebucht. In der Wohnung gab es kein fließendes Wasser. Das musste vom Brunnen geholt werden. Auch Licht war rar. Im Zimmer von Christine gab es nur eine Lampe, keinerlei Luxus. „Dort zu leben war eine Umstellung für mich“, sagt Christine. „Aber es war trotzdem toll.“ Sie wurde herzlich von der 8-köpfigen Familie aufgenommen und Bestandteil deren Familienlebens. Im Haus wohnten die Gasteltern mit drei Kindern sowie die Großeltern und ein Bruder des Vaters. „Der familiäre Zusammenhalt, den ich dort erlebt habe, hat mich sehr beeindruckt“, betont Christine.

Die ersten Tage nutzte sie, um sich in dem fremden Land zu orientieren. Neben den Menschen und dem Meer hatten es ihr von Anfang an die Märkte angetan, wo die Senegalesen bunte Stoffe, Kleidung, Taschen, Schmuck, Bilder, Holzfiguren und vieles mehr verkaufen. „Viele der Sachen werden von Frauen in Handarbeit gefertigt, die damit ihre Familien ernähren“, erklärt Christine. Zudem arbeitete sie als Freiwillige in den Schulen und Waisenhäusern vor Ort, lernte so Land und Menschen intensiv kennen und begann sich im Senegal heimisch zu fühlen.

Der Kontakt zu den Straßenkindern prägte Christine stark. „Ich habe bei ihnen eine große Fröhlichkeit und Dankbarkeit gesehen“, erklärt sie. „Damit hätte ich aufgrund ihres harten Schicksals niemals gerechnet.“ Christine lernte viel über die Bräuche der Menschen, die vorwiegend muslimisch geprägt sind.

Den Frauen ging sie beim Kochen vom ersten Tag an zur Hand und dokumentierte für die sozialen Medien, dass man auch ohne Hochglanzküche und Küchengeräte nur mit Gas und Kohle im großen Topf eine leckere Mahlzeit für eine Großfamilie kochen kann. Aber auch beim Wäsche waschen mit der Hand und beim Verkauf von Essen half sie mit.

„Für mich wurde bald klar, dass ich die Frauen im Senegal unterstützen will“, sagt Christine. Da die Reaktionen auf ihre Beiträge bei Facebook und Instagram positiv waren und viele Menschen Interesse an den Handarbeiten der Frauen zeigten, die sie im Internet teilte, begann sie ehrenamtlich Bestellungen von ihren Bekannten aufzunehmen. Mit dem Paket per Post gingen  Kleidung, Taschen, Schmuck und Stoff auf den Weg nach Deutschland. „Die Post funktioniert recht gut und zuverlässig“, betont Christine. Die Bezahlung für die Waren ging eins zu eins an die Frauen im Senegal, die davon neue Materialien für ihre Handarbeiten kaufen konnten und ihre Familien ernährten. „50 Euro sind im Senegal viel Geld“, erklärt Christine. Davon könne sich eine vierköpfige Familie einen Monat lang ernähren.

Im Laufe der Zeit kündigte Christine ihr Zimmer bei der Familie und zog in ein Appartement.  „Für meine Arbeit brauche ich Internet“, sagt sie. Daher benötigte sie eine andere Unterkunft, wo das angeboten wird. Zudem kämpfte sie mit der Vielzahl an Eindrücken. „Ich brauchte einen Rückzugsort, um das alles zu verarbeiten.“

Insgesamt blieb Christine 2020 zehn Monate in Afrika. Der Abschied fiel ihr leicht, denn die Entscheidung war längst gefallen. Christine wollte künftig regelmäßig in den Senegal fliegen und dort Hilfsprojekte vorantreiben. Ihren Heimaturlaub in Landshut nutzte sie, um Strukturen für ihre Projekte zu schaffen und Helfer zu suchen. „Ich kann jetzt zum Beispiel Spendenquittungen ausstellen“, sagt sie. Ein Verein unterstützt sie hier. Zudem hat sie ein Kleingewerbe angemeldet, um den Handel mit den senegalesischen Handarbeiten auszuweiten. Aktuell ist sie dabei, eine Homepage über ihre Arbeit zu erstellen. Zudem will sie einen Online-Shop aufbauen, um den Verkauf der Waren zu intensivieren.

Bei ihren Projekten lässt sich Christine von dem Grundsatz der Hilfe zur Selbsthilfe leiten. „Die Menschen im Senegal sind stolz und sie wollen selbst Geld verdienen statt Almosen zu bekommen.“ Dafür will ihnen Christine Handrack Möglichkeiten schaffen. In Landshut sammelte sie einige Nähmaschinen, die sie in den Senegal bringen will. „Für die Frauen ist das eine riesige Chance“, erklärt sie. Haben sie eine Maschine und lernen nähen, können sie sich selbst etwas aufbauen, um ihre Familie zu ernähren. Aktuell stehen die Maschinen noch in München und warten auf den Transport nach Senegal mit einem Container. Seit Anfang Juni ist sie nun auch selbst wieder im Senegal. Wann sie nach Deutschland zurück kehrt, ist offen. „Ich habe kein Rückflugticket gebucht“, sagt sie.

Ideen für ihre Zukunft im Senegal hat Christine viele. Vor allem möchte sie andere Deutsche inspirieren, das Leben dort zu sehen, wie es wirklich ist und von den Menschen vor Ort zu lernen. „Mir geht es darum, deren Fröhlichkeit und Optimismus zu zeigen“, sagt sie. „Sie lachen viel, obwohl sie manchmal nicht wissen, was sie morgen essen sollen.“ Dieses Urvertrauen sei bewundernswert. Daher plant sie langfristig, sobald die Corona-Pandemie die Welt nicht mehr in Atem hält, geführte Reisen in den Senegal anzubieten und den Interessierten das echte Leben, fernab vom Tourismus, vorzustellen. Denkbar sind für die Pädagogin auch Coaching-Angebote, um das Lebensgefühl der Senegalesen zu verbreiten. Ein Traum ist für sie, irgendwann einmal am Bau eines Brunnens mitzuwirken, damit die Menschen vor Ort Wasser haben. „Dann können sie sich viel leichter selbst versorgen“, erklärt sie.

Laut Auswärtigem Amt ist auch Senegal von der Pandemie betroffen. Eine Rückkehr nach Deutschland ist nach aktuellem Stand vom Juni 2021 nur mit negativem Test möglich. „Natürlich gibt es den Virus auch im Senegal und das Thema beschäftigt die Menschen“, sagt  Christine. Doch das Leben sei hier von so vielen anderen Dingen überlagert, dass es nicht den Raum einnehme, wie wir ihn von Deutschland kennen. Der Hunger, Wasserknappheit und die Versorgung der Familie sind im Senegal die zentralen Themen. Von einer dritten Welle in Afrika, von der aktuell in den deutschen Medien die Rede ist, hat sie im Senegal nichts gehört.

Mehr unter http://www.Senegal-spirit.de. Wer Christine unterstützen möchte, zum Beispiel durch eine Familien- oder Schulpatenschaft, erreicht Sie unter christine.handrack@googlemail.com.

2 thoughts on “Wandlerin zwischen zwei Welten

  1. Ich kenne Christine noch aus ihrer Zeit der „geordneten Bahnen“ und war auch sehr überrascht über den Wandel in ihrem Leben. Man merkt sehr deutlich, wie sehr sich ihr Leben geändert hat und welchen Bezug sie zu diesem Land und dessen Einwohnern entwickelt hat. Mich beeindruckt das sehr und obwohl es mir hier nach unseren westlichen Vorstellungen so viel besser geht, finde ich es bewundernswert, ja sogar vorbildlich, wie locker und lebensfroh die Menschen trotz all der wirklich gravierenden, existentiellen Nöten wirken. Das sollte uns allen etwas vermitteln! Weiter so Christine, ich bin der erste der eine Reise bei Dir bucht 🙂

    1. Das können wir sehr gut verstehen, lieber Herr Schirrmeister. Wir kennen Christine bisher leider nur durch whatsapp-Nachrichten für das Interview und aus den Videos, die sie in den sozialen Medien postet, aber sie hat uns mit ihrer Liebe und Begeisterung für das Land angesteckt. Auch wir werden eine Reise bei ihr buchen, um dieses Lebensgefühl kennenzulernen. Na und der Ansatz, den Menschen vor Ort helfen zu wollen, ist wunderbar. Vielen Dank für Ihre Meinung.

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