Die Schriftstellerin Gerda Stauner hinterfragt ihre eigene Wandlungsfähigkeit in der Krise
Mein letztes Buch ist vor einem Jahr erschienen. Zum Glück. Wenn ich von Verlagen, befreundeten Autoren und Buchhandlungen höre, wie schwierig sich der Verkauf des diesjährigen Frühjahrsprogramms gestaltet, dann bin ich froh und dankbar, dass es mich nicht so schwer trifft. Wie man hört geht es so weit, dass sogar Neuerscheinungen verschoben werden, weil ein großer Internethändler beschlossen hat, Bücher im Moment eher stiefmütterlich zu behandeln. Wäre mein dritter Roman also nicht am 20. März 2019, sondern genau ein Jahr später erschienen, dann wäre es für meine Leser weitaus schwieriger geworden, mein Buch in die Hand zu bekommen, zumal auch Buchläden geschlossen sind. Ich will mir gar nicht vorstellen wie es für diejenigen ist, die in diesem Frühjahr ihr Debüt veröffentlichen wollten. Man schreibt monatelang ganz für sich alleine an einer Geschichte, fragt zaghaft bei Freunden und Bekannten nach, wie sie den Plot finden, überarbeitet, streicht, beginnt von vorne. Das fertige Manuskript schickt man dann an unzählige Verlage, bekommt wochenlange keine Antwort, dann trudeln vereinzelt Absagen herein. Irgendwann, wenn man längst nicht mehr daran glaubt, kommt die ersehnte Zusage. Ein Lektor nimmt sich des Manuskripts an, zerpflückt es, setzt es wieder zusammen. Man spricht mit dem Verlag über den Titel, das Cover und den Erscheinungstermin. Man plant eine Buchvorstellung und vielleicht auch einige Lesungen. Und dann platzt alles, weil …
Wir wissen alle warum. Ich will an dieser Stelle überhaupt nicht infrage stellen, ob dieser verordneten Stillstand sinnvoll ist oder nicht. Das haben andere zu entscheiden. Vielmehr möchte ich schildern, wie ich als Autorin mit dieser Situation, mit der wohl die wenigsten jemals gerechnet haben, umgehe.
In gewisser Weise hat mich das Schreiben auf das Leben vorbereitet, das ich seit annähernd vier Wochen führe. Denn wenn man an einer Geschichte arbeitet, dann macht man das ganz für sich alleine, wie ich anfangs schon erwähnte. Man sitzt in einem Arbeitszimmer, einem Café, einer Ferienwohnung oder vielleicht sogar in einem Blockhaus. Egal wie belebt oder einsam es dort ist, man ist nur auf sich selbst gestellt. Denn nur in der eigenen Fantasie können neue Welten entstehen und Protagonisten erschaffen werden, die sich verlieben, Geheimnisse entdecken oder sterben müssen. Es ist eine reiche Welt, die wir Schriftsteller vor unserem inneren Auge auferstehen lassen. Und solange wir mit dem Finger über die Tastatur fliegen oder mit dem Stift Seite um Seite füllen, haben wir Gesellschaft. Aber den größten Teil des Schreibprozesses verbringen wir damit, über Figuren und ihre Eigenschaften nachzudenken, uns Handlungsstränge zu überlegen oder geschichtliche Fakten zu recherchieren, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Und das tun wir alleine, ohne Kollegin, die uns einen Kaffee aus der Teeküche mitbringt oder uns erzählt wie ihr Wochenende war. Im Grunde ist die Zeit des Schreibens also ebenfalls eine Zeit der social distance. Für mich jedenfalls.
Aber Schriftstellerin zu sein bedeutet nicht nur, Bücher zu schreiben. Das ist der eine, stille und zurückgezogene Teil der Arbeit. Wenn das eigene Werk fertig ist, geht man damit unter Menschen, stellt es vor, liest daraus, spricht darüber. Dieser Teil, der in meinem Fall meine bereits veröffentlichte Trilogie betrifft, fällt für mich nun natürlich auch weg. Die ersten Termine wurden bereits verschoben und ich würde nicht darauf wetten, dass ich in diesem Jahr noch oft auf einer Bühne oder vor Publikum anzutreffen bin.
Was sind die Alternativen? Einen eigenen Youtube-Kanal eröffnen und Videos mit gelesenen Texten posten? Mit den Anbietern anderer Plattformen zusammenarbeiten, die Kunst und Kultur direkt in die Wohnzimmer der Menschen bringen möchten? Oder ein weiteres Blog-Tagebuch, die täglich wie Pilze aus dem Boden schießen, schreiben und berichten, was man selbst gerade mit der freien Zeit anfängt?
Tatsächlich habe ich mir all diese Fragen bis vor zwei Tagen nicht gestellt. Doch dann rief mich der Geschäftsführer eines Bildungsträgers an und fragte nach, ob ich nicht ein Webinar zum Thema Schreiben geben möchte. Erst ab diesem Zeitpunkt beschäftigte ich mich ernsthaft mit den Möglichkeiten, die die virtuelle Welt mir eröffnet. Ich stöberte in meinen Unterlagen und überlegte, welche Inhalte ich in einem Onlinekurs anbieten könnte. In einem meiner Ordner fand ich zufällig Video-Mitschnitte von verschiedenen Lesungen, die ich mir noch nie zuvor angesehen hatte, weil ich niemals auf die Idee gekommen wäre, diese zu veröffentlichen. Nun suche ich einzelne Szenen heraus und überlege, wie man diese verwenden könnte.
Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, das alles zu tun. Ich weiß auch nicht, ob ich damit jemanden erreichen werde. Ganz abgesehen von der Frage, ob und wie ich damit Geld verdienen kann. Aber im Grunde geht es auch nicht um diese Fragen. Im Grunde bietet mir die Krise eine Chance, mich selbst und meine Routinen zu hinterfragen und herauszufinden, ob ich etwas verändern kann. Wie die Antwort darauf aussieht, kann ich im Augenblick noch nicht sagen. Aber ich freue mich auf die Möglichkeit, Neues ausprobieren zu dürfen und zu sehen, wohin der Weg mich bringt.
Dieses Wissen macht mich zuversichtlich. Im Gegensatz zur Hoffnung, die eher passiv ist und dem Menschen wenig Spielraum lässt, ist die Zuversicht mit aktivem Handeln verbunden, was bedeutet, dass man der Situation nicht ausgeliefert ist. Und das wiederum bedeutet, dass man eine Veränderung selbst in der Hand hat. Also, lasst uns loslegen!
Autorin:
Gerda Stauner
Fotoquelle Titelbild: Adi Spangler
Gerda hat in ihrem Beitrag genauestens beschrieben, wie es einer Autorin/einem Autor geht, die/der an einem Roman (oder an Erzählungen) schreibt und damit möglichst viele Leser auf eine Reise in eine sehr persönliche Welt mitnehmen will. Sie („er“ lasse ich in Zukunft weg) überlegt lange, welche Themen, welche Zeitspannen, welche Personen, welche Ereignisse darin stattfinden sollen, welche physischen und psychischen Eigenschaften die Handelnden haben, welcher rote Faden sich anbietet, an dem die Ereignisse logisch aufgereiht werden müssen, und vor allem: Welche Botschaft will sie ihren Lesern vermitteln? Sie möchte ja nicht nur unterhalten, sondern auch Elemente eigener Erfahrungen und eigener Haltungen einfließen lassen, so dass einerseits der Inhalt fesselt, andrerseits dahinter auch die Persönlichkeit der Autorin durchschimmert, die so in einen Dialog mit dem Leser tritt.
Ich bewundere jede Autorin/jeden Autor, die so kreativ ist, dass sie sozusagen aus dem Nichts heraus die Ideen entwickeln kann, aus denen dann ein Buch erwächst. Das ist ein wahrhaft mühsamer Vorgang, der außer viel Fantasie größte Selbstdisziplin voraussetzt und ein enormes Durchhaltevermögen verlangt.
Wenn dann ein solches Werk geschrieben ist, geht der zweite Teil der Arbeit an, den Gerda ausführlich beschreibt, von der Mühe, einen Verlag zu finden, über die Last der redaktionellen Umsetzung und die Buchpräsentation bis zu den anschließenden Lesungen. Wenigstens geben die Präsentation und die Lesungen der Autorin die Gelegenheit, einen Teil ihres Lesepublikums kennenzulernen…
Es kann nur nützen, wenn man solche Erfahrungen weitergeben kann – wie für einen Onlinekurs beschrieben. Das kann anderen Menschen, die es zum Schreiben drängt, manche Umwege und manche Rückschläge ersparen.
Vielen Dank!