Rollifahrerin kämpft für ihre Selbständigkeit
Rollifahrerin kämpft für ihre Selbständigkeit
Die Zuständigkeit für die Finanzierung von Hilfsmitteln wie einem zweiten Rollstuhl ist oft unklar.
Von Martina Groh-Schad =
Regensburg – Seit fast drei Jahrzehnten hat Marina Siebert zwei Rollstühle, die bisher ihre Krankenkasse bezahlt hat. Die 42-Jährige wurde mit einer Spastik und Bewegungseinschränkungen geboren. Für die Wohnung nutzt sie einen Aktivrollstuhl mit elektrischem Antrieb, zum Teil kommt dieser auch an weniger barrierefreien Orten in der Stadt zum Einsatz, unterstützt von Assistenzkräften. Für alles andere hat sie einen elektrischen Rollstuhl. „Es ist für mich wichtig, so selbstständig wie möglich sein“, betont sie. „Es ist meine Lebensqualität.“
Vor einigen Monaten ist der Rahmen ihres Aktivrollstuhl gebrochen. Er wird nun notdürftig von Winkeln und Kabelbindern zusammengehalten. „Ich weiß nicht, wie lange das hält“, sagt sie. Eine Reparatur des sieben Jahre alten Rollstuhls lehnte die Techniker Krankenkasse mit Verweis auf das Alter ab. Siebert hat daher einen neuen Aktivrollstuhl beantragt. „Die Krankenkasse hat abgelehnt“, sagt sie enttäuscht. Die Krankenkasse verweist drauf, dass sie einen elektrischen Rollstuhl finanziert hat. Doch nur mit dem Aktivrollstuhl kann sich Siebert mobil in ihrer Wohnung bewegen. Mit dem E-Rolli könne sie beispielsweise nicht in ihr Badezimmer fahren, die Tische in ihrer Wohnung seien mit dem großen Stuhl nicht unterfahrbar, so dass sie nicht an den Schreibtisch gelangen könne, um zu arbeiten. Siebert ist Diplom-Sozialpädagogin und in der Beratung tätig. Ihren Hausarzt kann sie nicht erreichen. „Der E-Rolli passt nicht in den Aufzug“, erklärt sie. Die Krankenkasse beruft sich darauf, dass sie individuelle Wohnverhältnisse nicht berücksichtigen könne und grundsätzlich die medizinische Versorgung in ihrem näheren Umfeld sichergestellt sei.
Für die Sozialjuristin Larissa von Kraus, Kreisgeschäftsführerin des VDK in Regensburg ist das Problem bekannt. Werden zwei Rollstühle benötigt, würden vermehrt Fälle auftreten, in denen die Krankenkasse den Antrag ablehnt und sich nicht zuständig sieht. „Wenn wir früher im Monat einen Fall hatten, dann sind es inzwischen drei bis vier Fälle“, sagt sie. Was sie ärgert: „Der Arzt hat sich bei der Verordnung des Rollstuhls etwas gedacht.“ Menschen mit Behinderung würde es schwer gemacht. Die Chancen im Widerspruchsverfahren seien gut. In etwa 30 Prozent der Fälle gehe der Widerspruch durch. Der Rest müsste vor Gericht verhandelt werden. „Doch für viele Menschen mit Behinderung ist dieser Weg eine zu große Belastung“, sagt sie. „Sie machen nicht weiter.“
Für die Vertretung der Mitglieder vor Gericht ist die VDK-Bezirksgeschäftsstelle zuständig. „Wir gewinnen etwa 50 Prozent dieser Fälle gegen die Krankenkassen“, sagt die stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin Susanne Stöckel. Der Kampf lohne sich, aber sei mühsam. „Meist sitzen die Leute über drei Jahre ohne den benötigten Rollstuhl da.“ Theoretisch könnten sich die Betroffenen nach einem Ablehnungsbescheid selbst behelfen und einen Rollstuhl anschaffen. Aber vielen fehle dafür das Geld und sie hätten zudem das Risiko zu tragen, anfallende Reparaturen selbst bezahlen zu müssen.
Die Stadträtin Wiebke Richter, die selbst im Rollstuhl sitzt und beruflich Menschen mit Behinderungen berät, sieht das Hauptproblem darin, dass sich die Krankenkassen nur für die Grund- oder Notversorgung zuständig sehen. „Alles, was über die Wohnung und den unmittelbaren Umkreis hinaus geht, sehen sie nicht als ihre Aufgabe an.“ Teilhabe am gesellschaftlichen Leben komme in ihrer Sicht nicht vor. Oft sei hier tatsächlich der Bezirk zuständig, aber dieser sehe die Finanzierung ebenfalls nicht in seiner Verantwortung, weil er das Hilfsmittel der Grundversorgung zuordnet. Die Grenzen seien oft fließend. Das Bundesteilhabegesetz habe geregelt, dass alle Hilfen aus einer Hand kommen sollen, damit die Betroffenen nur einen Ansprechpartner haben. Doch das klappt nicht. „Die Krankenkassen machen nicht mit“, sagt Richter. Was sie ärgert: Es seien meist Versicherungsleistungen, die beantragt werden. „Wir betteln nicht um Steuergelder.“ Richter weiß gut, wovon sie spricht. „Ich musste selbst viereinhalb Jahre prozessieren, um einen zweiten E-Rolli zu bekommen.“ Alle Kostenträger hätten den Rollstuhl als notwendig und angemessen angesehen, aber alle sagten: Wir sind nicht zuständig, so dass letztendlich ein Richter entscheiden musste, wer die Kosten trägt.
Marina Siebert will nun mit Hilfe des VDK in Widerspruch gehen und an ihrem Antrag festhalten. Doch es fällt ihr schwer. „Als Mensch mit Behinderung muss man schon an so vielen Stellen kämpfen“, sagt sie. „Klar ersichtliche Hilfebedarfe müssen von Betroffenen mit pausenlosen Kämpfen bis zur Erschöpfung und verbunden mit Rechtfertigungen erstritten werden.“